2023, Öl auf Leinwand, je 50x40 cm
Das Herz ist ein Muskel. Ein Hohlmuskel, eine Pumpe, die arbeitet, ein Menschenleben lang.
Das Herz ist das Organ, über das bereits Philosophen der Antike stritten, ob in ihm die Seele sitze oder im Gehirn. Und bisher wurde diese nie gefunden, auch wenn sie bei allen Vermutungen immer mehr Richtung Gehirn wanderte – mit dem Beginn der Neuzeit in Europa, als Wissenschaftler bei Leichenöffnungen nicht mehr das eigene Leben riskieren mussten, die Anatomie bekannt wurde und auch die innersten Organe aus ihren Höhlen ans Tageslicht gehoben wurden.
Wie eng verwoben Körper und Seele, Wesen und Geist sind, beweist Sprache, in der jemand mal großherzig oder kaltherzig sein kann, an gebrochenem Herzen sterben, ganz Auge oder Ohr sein, ihm etwas über die Leber laufen, im Hals stecken bleiben, an die Nieren gehen oder die Galle hochkommen kann. Die vielfältige Verbindung bringt Isabelle Hannemanns Bilderzyklus „Barefaced“ ebenfalls ans Tageslicht. Ihre Figuren tragen Organe an der Stelle, an der die Betrachter Gesichter erwarten, in denen sie sich gerne spiegeln wollen. Hochmütig, abweisend, stolz, verstörend fast wirken sie, wie sie dastehen, im Raum zu schweben scheinen, gleichzeitig anmutig, allesamt weiblich. Größer könnte der Kontrast nicht sein zwischen Nieren, Eierstock, Auge, Herz, Gallenblase und anderen Funktionsträgern des Körpers und der prinzessinnenhaften Ausstattung dieser Wesen: verspielt gerüschte Reifröcke, Wespentaillen, gebauschte Ärmel, neckisches Bein im Ballettschuh, verzauberten Prinzessinnen gleich geben sie den Betrachtenden Rätsel auf.
Auch diese Rätsel sind nicht neu. Frauen, ihre Körper, ihre Funktion, ihr Aussehen sind ebenfalls mehr im Fokus seit der Antike als die männliche Gestalt, die nicht selten heute noch als Norm gesetzt wird, unabhängig von Hormonschwankungen, deutlich erkennbaren Lebensphasen. Wurde früher eine wandernde Gebärmutter, „Hysterie“, als Ursache veränderter Geisteszustände vermutet; das Wesen im weiblichen Körper als zu schwach für hochgeistige Leistungen gesehen, unabhängig davon, welche Hochleistungen diese Körper mit Schwangerschaft und Geburt vollbringen. Auch heute noch, in Zeiten der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten unabhängig von Körper und Geschlecht, hadern mehr Mädchen und Frauen mit ihren Körpern als guttut, folgen idealisierten – von wem eigentlich aufgestellten? – Normmaßen, investieren in Kosmetik, plastische Chirurgie und reichlich Kleidung der immer schneller werdenden Fashion, lassen sich dazu hinreißen, sich zu reduzieren auf Äußerliches und Funktion; ohne die Frage nach Gründen des Ungleichgewichts anzudenken. Oder sie für sich offen und laut verneinen, Gleichberechtigung fordern, leben und sich dennoch diesen ungeschriebenen, aber allgemein gültigen Gesetzen beugen, um ihren Platz im menschlichen Miteinander zu erhalten.
Ungebeugt, unergründlich, gesichtslos allein dagegen die von Hannemann gemalten Figuren. So wirft die Serie die Betrachter auf sich selbst zurück, auf das nicht zu ergründende Rätsel des Seins und die Auseinandersetzung des Menschen mit seinem Körper, dem Raum, den er ausfüllt, der ihn begleitet sein Leben lang, solange der Hohlmuskel Herz arbeitet.
Dr. Silke Schieber